Lautes Kindergeschrei, fliegende Bälle und wildwachsende Sträucher: Seit eine junge Familie aus Stuttgart in die Potsdamer Schumannstraße gezogen ist, hat sich einiges verändert. Nachbarin Ingrid Klein (Name geändert) wohnt seit mehr als 40 Jahren im Haus nebenan. Die 84-Jährige fühlt sich durch ihre neuen Nachbarn nicht respektiert. Als ein langer Ast über ihren Gartenzaun wächst, verliert Frau Klein die Geduld. In scharfem Tonfall bittet sie, den überhangenden Ast abzuschneiden.
Nach zwei Monaten ohne Reaktion beschließt Frau Klein, gegen ihre Nachbarn zu klagen. Bevor der Fall vor Gericht kommt, wird in einer Schiedsstelle versucht, ein Vergleich zwischen den Nachbarn zu schließen.
Matthias Neumann hat im Nachbarschaftsstreit als Schiedsmann vermittelt. Er erzählt: “Ich bin mit ihr durch den Garten gegangen. Da habe ich Frau Klein ihre alten Rosensträucher gezeigt, die auf das Grundstück der Familie aus Stuttgart wachsen. Die müsste sie verpflanzen. Und damit war der Konflikt beigelegt.”
Seiner Erfahrung nach zeigt sich Stolz in Konflikten durch Überheblichkeit und Arroganz. Umgangssprachlich ist von „falschem Stolz“ die Rede. Der hält davon ab, sich eigenes Fehlverhalten einzugestehen.
Was hinter dem Stolz steckt
Den Widerstand, der sich durch den Stolz zeigt, sollte man nicht gleich verurteilen. Der Stolz sei eher „ein Symptom für etwas, das nicht passt“, meint Konfliktcoach und Schiedsfrau Daniela Scherler. In der Konfliktvermittlung gilt es herauszufinden, was hinter dem Stolz steckt.
Warum stört der Ast eigentlich? Ist der Ast Ausdruck eines anderen Unbehagens?
Um einen Streit zu lösen, müssen erst die eigentlichen Ursachen identifiziert werden. Der Nachbarschaftsstreit wurde durch mehrere Konfliktebenen befeuert: Verschiedene Herkünfte aus Ost- und Westdeutschland, Generationenunterschiede sowie unterschiedliche Lebensweisen einer alleinlebenden Frau und einer Familie mit Kindern.
Streitigkeiten machen nicht am Gartenzaun halt. Auch im Berufsleben kann Stolz ein Auslöser von Konflikten sein. Daniela Scherler erzählt von einem Fall, in dem sich einige Mitarbeiter gegen das Zusammenführen von zwei Abteilungen stellen. Obwohl sich am Gehalt der höhergestellten Mitarbeiter nichts ändert, empfinden einzelne die Gleichstellung als Degradierung ihrer Arbeit.
Scherler stellt fest: Hinter ihrem Stolz steht der Unwille, das hart erarbeitete Wissen einfach zu teilen. Die Mitarbeitenden erwarten eine Anerkennung ihrer Leistung. Der Konflikt löst sich erst, „als sie erkannt haben, dass wir sie nicht im Status herabstufen oder sie etwas, auf das sie sehr stolz sind, verlieren.“
Der Klügere gibt (nicht) nach
Manchmal genügt ein kleines Missverständnis, um einen Konflikt zu entfesseln. Ein falsches Wort, ein herabwürdigender Blick. Der Stolz hindert daran, einen Schritt aufeinander zuzugehen.
„Was da im Wege steht, ist, dass man glaubt: Wenn ich jetzt auf den anderen zugehe, dann gebe ich ihm recht. Dann ist es wie ein Schuldeingeständnis. Da steht uns der Stolz einfach im Weg“, sagt Daniela Scherler.
Der Spruch „Der Klügere gibt nach“ bedeute demnach nicht, dass Fehlverhalten bedingungslos akzeptiert wird. Das sei ein verbreiteter Trugschluss. Daniela Scherler betont, beim Nachgeben werde zunächst anerkannt, die Situation erstmal nicht ändern zu können. Das schafft Raum zum Nachdenken. Den eigenen Stolz hinter sich zu lassen und den ersten Schritt aufeinander zuzugehen, ebnet dann den Weg zur Konfliktlösung.
Stolz
- Der Stolz sollte nicht als etwas Schlechtes bewertet werden. Er ist ein Symptom für etwas, das sich hinter dem Stolz verbirgt. Beispielsweise ein mangelndes Selbstwertgefühl.
- Kritisch hinterfragen, ob sich der Preis für den Stolz lohnt. Bin ich bereit, die Konsequenzen zu tragen?
- Reflexion und Verortung des Stolzes: Wofür steht er? Woran störe ich mich? Was möchte ich damit erreichen?
- Die Ursache hinter dem Stolz angehen: sich Ängsten stellen, innere Einstellung überprüfen oder von etwas loslassen.
- Den ungesunden Stolz in Wertschätzung für sich selbst wandeln. “Ich bin nicht abhängig davon, dass andere anerkennen, wer ich bin oder was ich erreicht habe.”
- Wenn es nicht mehr möglich ist, sich die andere Position anzuhören oder sich darauf einzulassen.
- Wenn ich mich in der Beziehung schwächer oder unterlegen fühle, sollte ich mir Unterstützung holen.
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