Sechs Uhr morgens vor einem Fitnessstudio im Herzen von Magdeburg. Es ist ein bewölkter Sonntagmorgen. Während einige betrunkene Studenten noch die Nacht zum Tag machen, herrscht am Eingang des Fitnessstudios reger Betrieb. Vor allem junge Männer gehen im Minutentakt ein und aus. Männer mit definierten und gestählten Körpern, die ein klares Ziel vor Augen haben: die beste Version ihrer Selbst zu sein. Ein Bild, das in vielen deutschen Städten ähnlich ist.
Auch André Böge gehörte einst zu den Menschen, die absolut alles aus ihrem Körper herausholen wollten. Heute ist der 39-Jährige ein Aushängeschild für die dunkle Seite der Kraftsportwelt. Zwei große Dokumentationen und dutzende Artikel im Netz beschäftigen sich mit seiner Vergangenheit.
André Böge hat jahrelang gedopt und illegale Dopingmittel verkauft.
Böge ist 17, als er zum ersten Mal ins Fitnessstudio geht. Ein Autounfall hat ihn als Kind körperlich so eingeschränkt, dass er jahrelang keinen Sport machen konnte. “Dann kam irgendwann die Playstation raus. Die Kombination aus fehlender Bewegung und viel Essen hat dazu geführt, dass ich immer dicker geworden bin”, erzählt Böge.
Ein Arzt rät ihm, sich in einem Fitness-Studio anzumelden. Mehrfach in der Woche geht Böge trainieren — anfangs noch ohne “Hintergedanken”, wie er selbst sagt. „Na ja, und dann bekommt man irgendwann die Gespräche der Erwachsenen mit. ‘Hast du das mal genommen? Das mal für den Muskelaufbau ausprobiert?’“
Böge kauft sich Bücher zum Thema Kraftsport. Er will seinen Körper maximal optimieren. Nur wenige Wochen später spritzt André Böge das erste Mal illegale Dopingmittel.
Der Fitness-Boom
Doping beschreibt im Regelfall die Einnahme verbotener Substanzen zur Leistungssteigerung im Sport. Die meisten denken bei diesem Stichwort an anabole Steroide oder verschreibungspflichtige Medikamente. Allerdings können auch harte Drogen wie Kokain oder Amphetamine zur besseren Konzentration als Doping angesehen werden.
Der Kraftsport ist besonders anfällig für Doping. Über zehn Millionen Deutsche waren im vorigen Jahr in einem Fitnessstudio angemeldet. Die Anmeldungen haben sich seit der ersten Erhebung vor 20 Jahren mehr als verdoppelt.
Eine konkrete Datenlage, wie viele der Fitnessstudiobesucher zu unerlaubten Substanzen greifen, gibt es nicht. Markus Gretz, Sportpsychologe aus Ulm, beruft sich auf Zahlen einer Schätzung von US-Forschern aus den Jahren 2015 und 2016. Diese zeigen, dass bei den Männern ungefähr jeder Zehnte, bei den Frauen etwa jede Fünfzigste im Kraftsport dopt.
Der Wunsch, stolz auf seinen eigenen Körper zu sein, ist an sich nichts Schlechtes. „Ich denke, es ist ein positives Zeichen, dass viele Menschen den gesundheitlichen Vorteil von Krafttraining erkennen und für sich und ihre Gesundheit Verantwortung übernehmen wollen. Schwierig wird es dann, wenn der Drang zu trainieren unkontrollierbar wird. „Dann kann man von einer verhaltensabhängigen Sucht sprechen“, erläutert Gretz.
So war es auch bei André Böge: „Es gab nie den Punkt, an dem ich gesagt habe, ‘ich bin fertig. Ich bin zufrieden mit meinem Körper.’“
Wenn der Körper zerfällt
Böge hatte nie die Absicht, sich mit seinem Körper vor anderen zu profilieren, sagt er. Für ihn war der Sport sein Leben und die Erfolge sein Antrieb. Zu Höchstzeiten drückt er bis zu 200 Kilo in die Luft. “Niemand im Studio hat mehr gestemmt als ich”, erzählt er.
Doch dann der Bruch. André Böge wird nach Jahren des Dopingkonsums und -handels von der Polizei überführt. Er entgeht der Haft und wird zu einer Geldstrafe verurteilt. Infolgedessen hört das Spritzen und Schlucken von leistungssteigernden Substanzen für ihn mit Anfang 30 auf. Sein Körper hingegen trägt bis heute die Rechnung seines Konsums.
Als sich die Muskeln abbauen, bemerkt er, dass seine Schultern sowie seine Knie durch die immensen Gewichte stark in Mitleidenschaft gezogen wurden. Daraufhin muss sich Böge mehreren Operationen unterziehen.
„Ich trage die Einschränkungen bis heute mit mir. „In der Wirbelsäule fehlen ganze Knorpelschichten, weil die Last der Gewichte für den Körper einfach zu groß war.“
Und auch sein Hormonhaushalt ist durch das Spritzen von körperfremdem Testosteron beschädigt. Seine Hoden schrumpfen in der Folge stark. Zudem befürchtet er weitere Spätfolgen, die üblich beim Konsum von Dopingmitteln sind, wie Probleme mit Herz, Nieren oder Leber. “Ich habe mich so gesehen selbst kastriert”, erzählt Böge in der ARD Dokumentation “Geheimsache Doping”.
Doping – Ein gesamtgesellschaftliches Problem
Die Stereotype vom dopenden Kraftsportler nerven André Böge jedoch. Die Berichterstattung beim Thema Doping sei für ihn zu eindimensional. Soziale Netzwerke und “die Medien” würden ein falsches Bild in die Welt setzen, wenn es um Doping geht. Es handelt sich hierbei um ein gesamtgesellschaftliches Problem über den Kraftsport hinaus, meint Böge.
„Als ich gedealt habe, war bei meinen Kunden alles dabei: der Polizist, der Feuerwehrmann, der Anwalt, der Schauspieler.“ Die haben sich bei ihm illegal Medikamente besorgt, um Leistung zu bringen. Es sind nicht allein Kraftsportler, die sich mit Chemie optimieren wollen. Es sind Menschen aus allen Teilen der Gesellschaft.
Solange Doping nicht als gesellschaftliches Problem verstanden wird, stehen die Chancen schlecht, die Menschen davon abzuhalten, zur Spritze zu greifen. Vor allem wenn sie schnell zu körperlichen Erfolg kommen möchten, meint Böge.
Dem Kraftsport ist Böge treu geblieben – jedoch nicht mehr bis zur körperlichen Überlastung. Heute konzentriert er sich auf seine Familie. Seine zwei Kinder will er davor schützen, seine Fehler zu wiederholen.
„Ich drücke jetzt normale Gewichte auf der Hantelbank. Meinen Kindern will ich auf den Weg geben, nicht diesem gesellschaftlichen Druck nachzugeben, immer Leistung erbringen zu müssen. Sie sollen nicht die Scheiße bauen, zu der mich dieser Druck geführt hat.“
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